Der Präsident und seine Geister

Die Tragik ewigen Widerstands: Wie Robert G. Mugabe vom Befreiungshelden zum unheimlichen Diktator mutierte

Die Morgues der Krankenhäuser in Simbabwe quellen dieser Tage über vor Toten. Dabei sterben nicht mehr Menschen als sonst, trotz all der gewalttätigen Demonstrationen im Land. Die Ursache ist bei den Lebenden zu suchen, die aufgrund der Hyperinflation immer weniger Geld haben. Viele Kranke werden deshalb unter falschem Namen eingeliefert; sterben sie, können sie niemandem übergeben werden – Krankenhaus- und Begräbniskosten entfallen.

Die Lage im Land ist katastrophal, doch das war sie ja schon etliche Male; auch 1999 wussten die Krankenhäuser nicht, wohin mit all den Leichen. Es gab soeben einen Generalstreik, die Kirchen rufen zum Widerstand auf, und viele sagen, das sei endgültig das Ende Robert Gabriel Mugabes, der sein Land ins politische Abseits manövriert und völlig runtergewirtschaftet hat: Simbabwe hat die weltweit höchste Inflationsrate und die niedrigste Lebenserwartung. Mugabe aber hat bislang jede innenpolitische Krise zu seinem Vorteil genutzt. Seine komplexe politische Vergangenheit freilich ist längst unter einer immer komplexer schillernden Bösartigkeit verschwunden. Das liegt auch daran, dass der 83-jährige Mugabe im Laufe seines Lebens zahlreiche Tote zu beklagen hatte. Für ihn scheint explizit zu gelten, was Manès Sperber 1948 über eine andere Generation kämpfender Politiker geschrieben hat: ,,Um einen Lebenden zu verstehen, muss man wissen, wer seine Toten sind. Und man muss wissen, wie seine Hoffnungen endeten – ob sie sanft verblichen oder ob sie getötet wurden. Genauer als die Züge des Antlitzes muss man die Narben des Verzichts kennen.‘‘

Der kalte Fisch und die Bücher


Um es in Sperbers Metaphorik zu sagen: Mugabe kam schon vernarbt zur Welt. Seine Familie ist bettelarm, selbst für schwarzafrikanische Verhältnisse in Rhodesien. Der Vater verlässt die siebenköpfige Familie 1934. Mugabe ist zu dem Zeitpunkt zehn und konzentriert sich auf das einzige, was ihm einen Ausweg aus der Armut zu bieten scheint: Bildung. Er ergattert ein Stipendium an einer jesuitischer Missionsschule. Doch trotz der besonderen, auch finanziellen Zuwendung des irischen Leiters der Schule in Kutama, Father O’Hea, erinnert sich Mugabe auch hier an Vorkommnisse, die er, ähnlich wie den Weggang seines Vaters, nie verzeihen wird. Als O’Hea den britischen Gouverneur Cecil Rodwell um Unterstützung für ein Krankenhaus bittet, erwidert der kühl: ,,Warum ein Krankenhaus? Gibt es nicht schon genug Eingeborene in diesem Land?‘‘ Statt an Sport- und anderen schulischen Aktivitäten teilzunehmen, bleibt Mugabe für sich. ,,Seine einzigen Freunde waren Bücher‘‘, erinnert sich sein Bruder Donato. Mugabe wird Lehrer.

1949 erhält er ein Stipendium am Fort Hare University College in Südafrika. Mandela ist kurz vor ihm hier gewesen, er trifft zukünftige Präsidenten wie Julius Nyerere aus Tansania und Kenneth Kaunda aus Sambia. Mugabe kommt mit marxistischen Ideen in Berührung, ist von Ghandis Widerstand beeindruckt, doch er selbst scheint an Widerstand noch nicht zu denken. Als er  nach Rhodesien zurückkehrt, dominiert er zwar die Diskussionen, hält sich aber von politischen Aktionen fern. Guy Clutton-Brock, ein weißer Liberaler, der Treffen mit afrikanischen Lehrern organisiert, ist fasziniert: ,,Er war an allem interessiert, konnte über Elvis Presley so gut reden wie über Politik, wirkte dabei aber immer wie ein kalter Fisch.‘‘ Mugabe raucht nicht, trinkt keinen Alkohol und bekennt sich dazu: ,,Was soll gut sein am Suff mit seinem Kontrollverlust!‘‘

Mugabe wird Lehrer in Nordrhodesien, dem späteren Sambia, geht aber 1958 nach Ghana, das ein Jahr zuvor als erstes afrikanisches Land unabhängig geworden ist. Auch hier arbeitet er als Lehrer. Er lernt seine spätere Frau Sally kennen, ist begeistert vom Präsidenten Nkrumah und dessen panafrikanistischen Ideen. Als er 1960 den Urlaub in Rhodesien verbringt, wird er fast zufällig in eine Demonstration gegen die koloniale Regierung verwickelt und politisch erstmals aktiv. Er gibt sein Lehrerdasein auf, schließt sich der Opposition an und wird verhaftet. Elf Jahre bleibt er im Gefängnis. Mugabe unterwirft sich einem rigiden Tagesablauf aus Lesen und Lernen. Über ein Fernstudium erwirbt er Abschlüsse in Recht und Wirtschaft an der London University. Nur einmal wird dieser Rhythmus unterbrochen, als er 1966 vom Tod seines einzigen Kindes erfährt. Mugabe weint tagelang und bittet um Hafturlaub, um seinen Sohn zu begraben. Seine Wärter stimmen dem Antrag zu, die Regierung jedoch lehnt ab.

Kleiner Junge im alten Mann

Mugabe verlässt das Gefängnis 1974 als verbitterter Mann und erbitterter Revolutionär: Nach einem jahrelangen Befreiungskampf, der als 2. Chimurenga in die Annalen eingeht, wird er 1980 zum Präsidenten eines freien Simbabwe gewählt. Der Weg dahin ist von zahlreichen Toten und Morden gesäumt – auch an Leuten aus den eigenen Reihen. Der folgenreichste darunter ist der vermeintliche Autounfall des aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, Josiah Tongogara. Mugabe wird der Mord nie nachgewiesen, Geheimdienstberichte belegen aber seine Verwicklung am Tod des charismatischen Tongogara, ein Tod, der im späteren Leben Mugabes noch eine unheimliche Rolle spielen wird.

Bis 1982 folgt eine friedliche Zeit, die im Rückblick fast schon übermütigen Flitterwochen gleicht.  Ängste der weißen Minderheit, dass der als Marxist verschrieene Mugabe etwa Weihnachten abschaffen könnte, lösen sich auf. Mugabe harmoniert überraschend gut mit den weißen Großgrundbesitzern und mit seinem langjährigen Rivalen Nkomo. Dann gründen die Weißen eine Oppositionspartei und im westlichen Simbabwe, der Heimat Nkomos, werden Waffenlager gefunden. Mugabe fühlt sich verraten und es setzt ein Prozess ein, dessen Gesetzmäßigkeit der Tunesier Albert Memmi 1957 in seiner Studie ,,Der Kolonisator und der Kolonisierte‘‘ beschrieben hat. Wie ein missbrauchtes Kind später nicht selten selbst zum Täter wird, übernehmen im Moment der Machtübernahme die Befreier eines Landes die brutalen Strukturen der früheren Machthaber. Dambudzo Marechera hat diesen Transformationsprozess in seiner Erzählung ,,Das Haus des Hungers‘‘ bereits 1978, kurz vor Ende des Chimurenga für Simbabwe angedeutet: ,,Ich lehnte mich an den Msasa-Baum und entspannte mich, versuchte auch, nicht mehr ans Haus des Hungers (das koloniale Rhodesien, Anm. d. Red.) zu denken, wo die Säuren der Darmfäule sich bis in den metallenen Grundstoff meines Hirns geätzt hatten. Doch das Haus war zu meiner eigenen Gedankenwelt geworden und es gefiel mir nicht, wie das Dach klapperte.‘‘

Mugabe reißt das klappernde Dach ein. Mit nordkoreanischer Unterstützung  lässt er Tausende vermeintlicher Oppositioneller aus Nkomos Ethnie umbringen. Die Pogrome stehen in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Widerstand, aber sobald Mugabe die Notwendigkeit erklärt, werden selbst einheimische Journalisten überzeugt, so wie Wilfred Mbanga, der Gründer der Daily News, die heute selbstverständlich längst verboten ist: ,,Er gab mir eine lange Erklärung, sagte etwas von Dissidenten, sprach so charismatisch, dass es überzeugend klang. Er ist so wachsam und intelligent, dass er Leute spielend auf seine Seite ziehen kann.‘‘

Endgültig zum Unterdrücker, so der Historiker Lawrence Vambe, der mit Mugabe die Schule besucht hat, wurde der einstige Befreiungsheld, als seine Frau Sally 1992 starb, die in der Bevölkerung überaus populäre Beraterin Mugabes. ,,Etwas machte zu bei ihm, er wurde zu einem kleinen, isolierten Jungen, eingesperrt in den Körper eines alten Mannes.‘‘ Mugabe ehelicht seine 40 Jahre jüngere Sekretärin Grace, die ihm, in Absprache mit Sally, schon vor deren Tod die Kinder geschenkt hat, die ihm mit Sally nach dem Tod ihres gemeinsamen Sohnes verwehrt geblieben waren. Grace veruntreut öffentliche Gelder, wird zur Imelda Marcos Simbabwes und missbraucht schließlich auch das Vertrauen Mugabes, der sie unter Hausarrest stellt.

Nach den Toten sind es ab 2000 aber vor allem die Geister aus der Vergangenheit, die Mugabe heimsuchen. So interpretiert zumindest der Mugabe-Biograph und Historiker Stephen Chan die unheimlichen Gerüchte um Mugabe und sein zunehmend paranoides Verhalten: 2000 ließ er die Farmer vertreiben und gab das Land an Getreue, vor allem Militärs; das einst reiche Agrarland verkam zum Bettler. Ortschaften, in denen bei den letzten Wahlen mehrheitlich für die Opposition gestimmt worden war, wurden  mit Baggern zerstört.

Wird Geistern im afrikanischen Alltag ohnehin schon eine große Bedeutung zugeschrieben, so kann deren Bedeutung für den Chimurenga, den Befreiungskrieg in Simbabwe gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Die Bauern hofften, durch den Umsturz endlich wieder das Land zugewiesen zu bekommen, dass ihnen von den weißen Siedlern genommen worden war. Zum einen, weil sie sich schlichtweg beraubt fühlten, aber auch, weil nach ihrem Glauben die Geister der Toten nur Ruhe finden, wenn der Leichnam in seiner Heimaterde bestattet werden kann. Mit diesem Versprechen konnten die Guerillas um Mugabe die Landbevölkerung für sich gewinnen. Was Mugabe jedoch versäumt hat, ist die gleichermaßen wichtige rituelle Reinigung, die nach jedem Krieg erfolgen sollte. Es ist allgemeiner Glaube, dass nur über sie die zu Geistern gewordenen Toten besänftigt und die eigene Seele vor einem ewigen Krieg bewahrt werden können. Weder für sich noch für die Kriegsveteranen hat Mugabe diese Handlungen jemals vollziehen lassen – im Gegenteil.

Mahlzeit mit dem Toten

Als er im Zuge der Farminvasionen wortwörtlich einen weiteren Chimurenga ausrief, entschied sich Mugabe, dass für ihn Krieg wichtiger als Reinigung ist. Die Folgen dieses spirituellen Ungleichgewichts deuteten sich 2001 an. Als kurz nacheinander zwei Vertraute Mugabes bei Autounfällen starben, begann im ganzen Land das Flüstern, dass die Kämpfer des Chimurenga den Segen der Geister verloren hätten. Außerdem ist der Tod der beiden Vertrauten durch einen Autounfall  vielen ein Indiz dafür, dass sich der Geist des ja ebenfalls bei einem Autounfall ausgeschalteten Mitkämpfers Tongogara ins Diesseits bewegt hat. Um Tongogaras wütenden Geist zu beschwichtigen, soll Mugabe seither zu allen Mahlzeiten ein weiteres Gedeck auflegen und sich mit Antidepressiva bei einem serbischen Therapeuten eindecken. Eine unheimliche Vorstellung: Ein 83-jähriger Präsident, der sich Arend für Abend mit einem unsichtbaren Toten zu Tisch setzt.

AXEL TIMO PURR (in: Süddeutsche Zeitung, Ostern, 7./8./9. April 2007)